Corona ist noch da, das war zu erwarten. Aber wie wir als Deutschland damit umgehen, und was Corona so alles an Schwachstellen im System zu Tage fördert, das war wohl so nicht zu erwarten gewesen. CDU-Politiker entpuppen sich als unmoralische Krisen-Profiteure, Bund und Länder produzieren mit ihrem Regelungschaos Politikverdrossenheit und im Netz formieren sich die Aluhutträger.

Wie war das gleich mit der Politik, die von wissenschaftlichen Erkenntnissen geleitet entscheidet? Im März 2021 halten laut Statista 38 % der Deutschen die Corona Maßnahmen für angemessen, 25 % gehen sie zu weit und 32 % nicht weit genug. Das heißt 70 % der Deutschen wollen keine weiteren Öffnungsmaßnahmen. Und das ist nur die öffentliche Meinung, die der Virologen und Epidemiologen oder die internationalen Erfahrungen sind da noch gar nicht dabei! Trotzdem hat man den Eindruck, dass gerade die Landesfürsten jede Gelegenheit wahrnehmen, ihren Einwohnerinnen und Einwohnern zu zeigen, wie sehr sie sich um Öffnung bemühen. Als wäre die dritte Welle nur irgend so ein Zahlenspiel, dass sich Wissenschaftlerinnen ausgedacht haben. 

Was bringen bei einer Inzidenz weit jenseits der 100 Modellprojekte mit Öffnung in Kunst und Kultur für Ältere und gut situierte? Es hieß einmal, dass die Gesundheitsämter ab Inzidenzen über 50 mit der Nachverfolgung nicht mehr nachkämen. Selbst wenn sich die Ausstattung der Gesundheitsämter vielleicht sogar ihre Digitalisierung verbessert haben sollte, kann ich mir nicht vorstellen, dass wir das hier in Deutschland bei Inzidenzen über 100 mit der Nachverfolgung und Überwachung von Quarantäne wirklich gut im Griff haben. Wir haben es mit der englischen Virusvariante letztendlich auch mit einer neuen Steigerungsstufe von Corona zu tun. 

So sehr ich die Nutzung digitaler Systeme wie der CoronaWarn-App oder auch Check-in-Apps für Gastronomie und Veranstaltungen mag, so sehr muss man auch betonen, dass diese eine Ansteckung ja nicht verhindern können. Was diese Systeme vermögen, ist Infektionsketten zu unterbrechen. Das kann aber nur wirksam geschehen, wenn die Inzidenzen niedrig sind und Nachverfolgung gewährleistet ist. 

Ja, wir alle sind alle pandemiemüde. Doch sehnt sich die Mehrheit von uns tatsächlich nach klassischen Konzerten, die jetzt unter Testbedingungen z.B. in Berlin stattfanden? Ist es nicht vielmehr die Jugend, die gerne mal wieder eine Party feiern möchte oder die arbeitende Bevölkerung, die einfach etwas Zerstreuung im Biergarten oder Kino finden möchte? Aber es geht nicht darum, was wir alle möchten, sondern darum in welcher Pandemie-Situation wir uns befinden.

Wie kann man bei uns in Sachsen-Anhalt (heute, Karfreitag: Inzidenz 180) die Grundschulen geöffnet lassen, ohne dass Lehrerinnen und Lehrer geimpft sind und ohne das ist eine Testpflicht gibt? Reicht es tatsächlich aus, dass wir einen Freizeit-Lockdown machen, aber Home-Office nicht ausgeschöpft wird und im Arbeitsleben vieles beim alten bleibt? Wie werden die Regelungen, die wir haben, durchgesetzt? In Lübeck hat das Gesundheitsamt z.B. proaktiv reagiert und in Wohngegenden, wo viele nur schlecht deutsch sprechen, vor Ort über die geltenden Regelungen informiert. Das wurde dankbar angenommen. Schaut wirklich mal jemand z.B. im Kalischacht in Zielitz vorbei und sieht nach, wie die Hygienemassnahmen eingehalten werden?

Und ja, geltende Regeln müssen durchgesetzt werden. Ich kann das Gerede von der Eigenverantwortung nicht mehr hören! Was ist es denn für eine Art von Eigenverantwortung, wenn Eltern entscheiden sollen, ob sie ihr Kind in Schule oder KiTa geben, wenn sie gleichzeitig keine andere Wahl haben, als arbeiten zu gehen? Den Großeltern sollte man ja die Kinder im Moment auch nicht geben. Und nein, es ist nicht Eigenverantwortung, wenn ich auf eine Schwurbler-Demo gehe und für mich selbst entscheide, keine Maske tragen zu wollen. Nein, das ist kein Bürgerrecht!

Und ist es nicht gerade der innere Sinnzusammenhang in einer Pandemie, dass sie alle betrifft? Ist es nicht Aufgabe des Staates, sich um das Wohlergehen von allen innerhalb einer Gesellschaft zu sorgen und darum, dass es gerecht zugeht? 

Wir haben jetzt die „Notbremse“, aber ich fürchte ohne echten Lockdown, der auch das Arbeitsleben einschließt, wird der Zug nicht stehenbleiben.

Ganz und gar ungerecht wird es, wenn es um diejenigen geht, die in der Endkonsequenz diese Pandemie auszubaden haben. An dieser Front hat sich für Pflegerinnen und Pfleger und Medizinerinnen und Mediziner nichts geändert. Ich glaube, wir klatschen nicht einmal mehr Beifall für ihre Leistungen. 

Dabei wissen wir doch ganz genau, dass sich die Intensivstationen mit einem zeitlichen Verzug von zwei Wochen oder mehr zur Inzidenz füllen. Was nützen im übrigen Bettenkapazitäten, wenn keine Pflegekräfte da sind? Wie können wir jetzt entspannt über Öffnungsperspektiven nachdenken, das geht nicht in meinen Kopf hinein! 

Mein Mann Helge arbeitetet als Internist in einem kleineren Krankenhaus und selbst dort sind in einem seiner letzten Dienste nachts vier Menschen an Corona gestorben. An einem anderen Tag ging es einem der jüngeren Patienten mit typischem Bild seiner Lunge und typischen Symptomen wirklich schlecht, aber der Corona-Abstrich war negativ (also Viren im Rachen nicht mehr nachweisbar) und als „Verdachtsfall“ durfte er nicht an die Uniklinik verlegt werden. Letzten März musste noch nicht eine komplette Station zur Corona-Infektionsstation umgewidmet werden, jetzt schon. Und dass das bei gleichem Personal keine Auswirkung auf die Versorgung der Patienten ohne Corona haben soll, kann ich mir nicht vorstellen.

Ich muss mal einen Text (Meinung) vom User „Narkosearzt unterwegs“ aus dem Medizinerportal DocCheck vom 23.03. hier zitieren, damit Ihr eine Idee bekommt, was hinter der Statistik eigentlich los ist. Denn was er schreibt, ist sicher keine Einzelmeinung und zeigt, wie zermürbend und hart die Situation selbst jetzt ist, wo wir noch keine „italienischen Verhältnisse“ haben.

„Corona: Von euch hab ich die Schnauze voll

Mir dröhnt der Kopf. Manche von uns arbeiten 80 Stunden pro Woche. Es ist einfach alles extrem. Ich hab die Schnauze voll von dilettantischen Politikern, Mallorca-Reisenden und Demo-Spreadern. Denn wir müssen die Sch***e ausbaden. Aus der Haut fahren oder endgültig mürbe werden, diese zwei Optionen gibt es für uns Mediziner jeden Tag. Und es gibt viele Gründe für beides.

Infektionstreff Demo

Einer davon sind nach wie vor jene Menschen, die sich weigern, COVID-19 ernstzunehmen: Wenn eine einzige Querdenkerdemo für tausende Neuinfektionen verantwortlich ist, dann ist das ein sehr hoher Preis, den die vernünftige Allgemeinheit für die Versammlungsfreiheit egoistischer Schwurbler zahlen muss.

Warum nehmen wir Rücksicht auf die Rücksichtslosen? Auch harmlose COVID-Verläufe ohne Beatmung kosten im Schnitt etwa 7.000 Euro. Schwere Verläufe kosten schnell mal zwischen 30.000 bis 100.000 Euro (na, FDP? Kosten!). Und hier reden wir nur über die Akutphase, von #LongCovid, vom Verlust der Arbeitskraft und den Kosten ganz zu schweigen. 

Warum dulden wir das? Diese Verwirrten sind davon überzeugt, in einer Diktatur zu leben, die ihre Freiheitsrechte einschränkt und wir glauben, sie zurück zu gewinnen, indem wir ihre Superspreaderevents weiter genehmigen? 

Die Patienten zermürben

Wisst ihr, warum mich das aufregt? WEIL ICH DIE SCH***E AUSBADEN MUSS. NICHT DIE SPINNER, DIE DA RUMLAUFEN!

Hier brennt der Baum, seit einem Jahr trage ich FFP2. JEDEN F**KING TAG! 10–12 Stunden sind mittlerweile völlig normal, manchmal auch 16 Stunden und länger. Diese bekackten Intensivtransporte mit COVID. Stundenlag sitzt man in diesen Plastikanzügen, die dicht sind wie ein Ganzkörper-Regenparka. Mir läuft die Suppe am Rücken runter und mir dröhnt der Kopf, weil es laut ist, wir uns anschreien müssen und die Patienten extrem krank sind. 

Die COVID-Patienten in der Klinik zermürben. Wochenlang ist alles grottenschlecht, alles ist bei COVID-Patienten extrem. Kreislauf, Beatmung, Analgosedierung, Lagerung es ist einfach alles extrem. Kleinste Fortschritte – gefolgt von Rückfällen. (…)

Aber wir können auch extreme Intensivmedizin. Wir versuchen, uns selbst zu motivieren, sonst macht es ja keiner. Mit mehr Geld oder mehr Personal rechnet niemand mehr, da kommt nur lauwarme Luft, sonst nichts. Ausbaden müssen es wir und letztendlich die Patienten. Dann dauert es eben länger bis sie abgesaugt werden. Und wenn mal einer so mutig ist und die Wahrheit ausspricht (@UK_Muenster), wird er mundtot gemacht und die PR-Abteilung übernimmt. Alles easy! Alles safe! Alle Patienten tip top versorgt.

Am Arsch hängt der Hammer! Ihr wisst selber, dass das nicht stimmt. Warum decken wir das? Zeigt den Leuten da draußen mal, was die jahrzehntelange Sparerei aus einstiger Spitzenmedizin gemacht hat. Ja, wir können immer noch ECMO, wir transplantieren sogar Herzen, aber das sind doch nur die schicken Aushängeschilder, die den schönen Schein bewahren sollen. 

„Als Entschuldigung gilt die eigene Beerdigung“

Dienstpläne werden mittlerweile von Woche zu Woche, teilweise nur tagesaktuell, gemacht. Im Vergleich zu 1980 machen wir mit der Hälfte der Pflegekräfte die doppelte Fallzahl und das, obwohl die Patienten immer älter und kränker und pflegebedürftiger werden. Manche von uns arbeiten je nach Dienstplan 70 oder 80 Stunden pro Woche. Das sind fast zwei Vollzeitstellen in anderen Branchen, aber wir machen es möglich, weil sonst die Dienste nicht besetzt sind.

Es herrscht ein enormer Druck seitens der Kollegen und Vorgesetzten. Niemand meldet sich mal eben krank. Und wenn man krank ist, wird per Whatsapp oder telefonisch täglich nachgefragt. „Bist Du wieder fit? Kannst Du den Dienst machen?“

Und wenn ich dann nein sage, weil ich nicht das vierte Wochenende in Folge arbeiten möchte, na dann ist was los. „Als Entschuldigung gilt die eigene Beerdigung“, sagte mal jemand. Jaha, super lustig, was haben wir gelacht. Diese Kultur hat sich überall etabliert und das macht die Leute fertig. Guckt euch mal das Durchschnittsalter auf Intensivstationen an. Das hat keine Zukunft. 

Bock auf Mallorca, kein Bock auf Politik

Ich hätte auch Bock auf Mallorca. Ich würde mich liebend gerne eine Woche an den Strand legen. Einfach mal nichts tun, niemanden hören müssen. Aber es ist eben unglaublich egoistisch, sich in einen Flieger zu setzen und mit 300 Leuten so zu tun, als ob es Corona nicht gäbe. Dieses unstrukturierte, konzeptlose Hin und Her an allen Fronten macht mich mürbe. 

Ich habe so keinen Bock mehr auf diese Politik! Zivilisierte Länder wie NZ und AUS haben gezeigt, wie man mit einer konsequenten Strategie hin zu #ZeroCovid hätte kommen können. Aber hier muss jeder Landespapst sein eigenes Wahlkampf-Süppchen kochen.

Corona-Demos hätte ich als erstes gestrichen, dann die Büros und so weiter. Konsequenz statt nur Gelaber und Plexiglas überall. (…) Weil sie (die verantwortlichen Politiker) es aus der Politik gewohnt sind, hören sie sich verschiedene Meinungen an. Und da zählt eine Meinung von einer Virologin Melanie Brinkmann eben genauso viel oder wenig wie die Meinung des Sportredakteurs, der meint, Samstag Bundesliga ist für die Auflage wichtig.

Ich werde auch in der dritten Welle dabei sein. Ich werde mein Team motivieren, wir werden unser Bestes geben, aber es wird anders als im März und April. Alles, was jetzt kommt, ist mit Ansage. Es gab Warnungen, Hochrechnungen, ihr (ja, ich meine z.B. euch, Armin Laschet und Jens Spahn) habt sie ignoriert. Alle Zahlen, die wir gerade sehen, wurden exakt so von Experten vorhergesagt. 15 Minuten Excel reichen, um das zu verstehen, ihr wolltet es nicht hören.

Wir sind mehr!

Danke fürs Durchlesen. Danke fürs Zuhören. Danke auch an alle, die uns immer wieder motivieren, obwohl sie selbst genervt sind. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir in der Mehrheit sind. Das macht Mut! Trotzdem brauchen wir Veränderung. Wir brauchen wirklich gute Leute in der Politik. Nicht nur Leute, die als Schülersprecher irgendwie im Stadtrat gelandet sind und sich vor allem selbst gut finden und zum eigenen Vorteil und für ihre Freunde Deals aushandeln. Wir brauchen einen mutigen Plan für die Zukunft und gute Leute, die Pläne auch umsetzen können und sich nicht im Filz verfangen.“