Ich dusche, also denke ich. So oder so ähnlich geht es mir ganz oft. Die besten Ideen, Gedanken und Lösungen springen in mein Hirn, wenn ich unter der Dusche stehe. Das war früher schon so. Wenn ich so richtig viel trainiert hatte, konnte ich hinterher stundenlang unter der warmen Dusche stehen und die Gedanken kommen und gehen lassen. Ich bekenne mich dazu, eine echte Warmduscherin zu sein! In Kindertagen war das sehr zum Ärger meiner Mutter, denn sie brachte mich zum Schwimmtraining und musste dementsprechend lange vor der Rückfahrt auf mich warten, wenn ich nicht von der Dusche lassen konnte. Auf diesen Fahrten vom Training zurück nach Hause hatten wir die besten Gespräche und die Gedanken sprudelten nur so aus mir heraus. (Natürlich wäre es für meine Mutter einfacher gewesen, die ÖPNV -Verbindung von Travemünde nach Lübeck zur Schwimmhalle wäre besser gewesen und ich hätte sie nicht als Fahrerin gebraucht.)

Dass ein gesunder Geist in einem gesunden Körper steckt, ist eine Binsenweisheit. Trotzdem muss man sich ab und an daran erinnern, dass gerade die Bewegung vor der Dusche nicht nur den Körper sondern auch das Gehirn in Schwung bringt. Manchmal passiert es, dass ich über den Alltag mit Kindern und Arbeit vergesse, dass ich mich eigentlich einmal wieder bewegen müsste. Und weil ich meiner schlechte Laune lieber zuvor komme, nutze ich jede Gelegenheit, die sich mir bietet, aufs Fahrrad zu steigen oder die Treppen zu gehen.

Aber warum soll Arbeit eigentlich zwanghaft, die Zeit sein, in der ich auf einem Bürostuhl vor einem Rechner sitze? Diesen Text hier diktiere ich gerade in ein Tablet. Ich kann es irgendwo und irgendwann tun, im sitzen, im stehen, im laufen, beim kochen, draußen oder drinnen. Ich arbeite gerne zu Hause, weil es mich flexibler macht. Viele meiner Kollegen leiden jedoch unter dem Home-Office in Corona-Zeiten, weil ihnen der Kontakt zu den Kolleginnen und Kollegen fehlt. Allerdings, so viel Kontakt ermöglichen unsere Bürogebäude meist auch wieder nicht. Es gibt lange Gänge mit vielen Türen und in den Zimmern sitzt man dann allein oder zu zweit.

Die Wirksamkeit von Teeküchen für das Betriebsklimasklima ist sogar wissenschaftlich belegt. Die Teeküche ist ein Ort der Begegnung, wo man hierarchiefrei und ungezwungen miteinander sprechen kann. Im Silicon Valley hat man in vielen Firmen diesen Gedanken zu Ende gedacht, und die starre Bürostruktur auch im räumlichen Sinne aufgelöst. Natürlich braucht es auch Rückzugsorte, an denen man Menschen aus dem Weg gehen kann, die Dusche zum Beispiel. Doch da ich außer dem Rechner bei meiner Tätigkeit gar keine anderen Arbeitsmittel brauche, muss ich nicht an einem bestimmten Ort sein, wo ich diese finden kann. Warum muss mein Arbeitsort immer ein und dasselbe Büro sein? Im Sommer würde ich auch allzu gerne bei vernünftiger WLAN-Verbindung im Garten des Ministeriums arbeiten oder im Café nebenan. Für mich ist ein Büro voller Bücherschränke, die belegen wie viel ich schon gelesen habe, kein erstrebenswertes Statussymbol.

Der Leitgedanke von Coworkingspaces ist mir sehr sympathisch, denn man arbeitet dort „allein zusammen“. Und wenn man mal Pause macht, hat man die Gelegenheit mit Menschen zu sprechen, die man unter normalen Umständen vielleicht nie treffen würde. Ich spiele mit dem Gedanken, mein Büro im Ministerium aufzugeben und nur zu Besprechungen dorthin zu gehen, wenn diese irgendwann wieder physisch stattfinden. Immerhin ist das bei uns in der Staatskanzlei möglich und das finde ich fortschrittlich.

 

Wenn ich nun laufe, renne oder schwimme und danach unter der Dusche stehe und ich habe den Gedanken des Jahrhunderts und bringe ihn kurz danach zu Papier beziehungsweise in ein Dokument, dann ist meine Arbeitszeit formal vielleicht eine halbe Stunde. Aber diese halbe Stunde wäre ohne die kreative Zeit davor überhaupt nicht möglich gewesen. Ich bezweifle stark, dass Menschen wie ich, die nur mit dem Kopf arbeiten, das acht Stunden lang hintereinander wirklich gut tun können. Niemand arbeitet acht Stunden gleich gut und gleich intensiv. Und bei körperlicher Arbeit ist es ja noch schlimmer. Die kann ich erst recht nicht ohne Pause verrichten. Wie alles in der Biologie verläuft unser ganzes Leben eben auch im Arbeitskontext nicht linear, sondern zyklisch. Es gibt Anspannungs- und Ruhephasen oder sollte sie zumindest geben.

 

Wenn ich daran etwas ändern könnte, würde ich das Arbeitsumfeld, in dem ich jetzt arbeite, nämlich die Verwaltung, grundlegend menschenfreundlicher machen. Wir Menschen sind soziale Wesen, die ab und an auch einmal für sich sein müssen. Beidem kann man ganz anders gerecht werden, wenn man Räume anders konzipiert und konsequent digitale Werkzeuge nutzt.

Sitzen ist nicht die einzige Körperhaltung um kreativ zu sein, für viele sogar auf Dauer die schlechteste. Auch in der Verwaltung gibt es mehr Menschen, als man gemeinhin denkt, die kreativ sein sollten und können. Die digitalen Hilfsmittel ermöglichen es uns eben, viel freier zu sein und zu arbeiten. Und was das Wissen angeht, dass früher auch sehr häufig Herrschaftswissen war; es ist heutzutage fast immer und überall im Internet oder über das Intranet verfügbar. Man muss nur wissen, wo man es findet und wie man es anwendet. Das verändert grundlegend die Aufgaben von Führungspersonal und es macht auch manche Hierarchieebene überflüssig.

Dass Informationen so einfach zu teilen und verteilen sind, ermöglicht es, dass verbreitete Zuständigkeitsdenken zu hinterfragen und Personal entsprechend des Wissens, der Vorlieben und der Verfügbarkeit variabel einzusetzen. Ohne großen Aufwand wäre man viel effizienter und handlungsfähiger ohne die Arbeitsbelastung für den oder die einzelne zu steigern. Bei uns wird wie in vielen Ministerien viel koordiniert. Teilweise bedeutet das nur, dass man weiß, wohin man gewisse Dinge weiterleiten muss. Ich halte Weiterleiten für eine Aufgabe, die man an Maschinen, bzw. KI delegieren kann. Dann können viele Leute sich die lästige Sucherei nach der Zuständigkeit sparen und gleich zum inhaltlichen kommen. Dies setzt lediglich voraus, dass in einer Datenbank hinterlegt ist, wer gerade zu welcher Zeit welche Themen bearbeitet. Die wenigsten Themen sind wirklich so geheim, dass man sie „von Hand zu Hand“ weitergeben muss oder die Bearbeitenden nicht bekannt sein sollten. Natürlich entstünde auf diese Art und Weise viel Transparenz. Transparenz erfordert Mut. Transparenz ist auch so ein politisches Wort, dass gerne benutzt wird, aber nur eher mäßig gelebt wird.

Ich bin überzeugt davon, dass wir transparenter und digitaler es nicht nur denjenigen einfacher machen würden, die mit uns Verwaltungen arbeiten müssen, also Unternehmen und Bürger*innen, sondern wir auch generell sehr viel schlagkräftiger, effektiver und entschlossener handeln könnten. Eigenschaften, die uns in der Pandemie gerade sehr helfen könnten.

 

Und was macht man mit all den Besprechungen und Meetings? Treffe ich mit meinem Minister jetzt unter der Gemeinschaftsdusche zusammen, weil da alle am besten denken können? Eine schräge Vorstellung. Allerdings, im alten Rom trafen sich bedeutende Persönlichkeiten, also Männer, auch in der Therme. In Finnland treffen sich tatsächlich auch heute Geschäftsleute und Politiker und Politikerinnen in der Sauna. In Finnland gibt es 200.000 Saunen. Irgendwie ein besserer Ort, als wenn man sich an der Bar trifft. In die Sauna kann man auch zu familienfreundlichen Zeiten tagsüber gehen. Und ob man sich mit Birkenzweigen auspeitscht oder Bier und Wodka dazu braucht, das ist Geschmackssache. Der Fakt, dass man sowohl unter der Dusche als auch in der Sauna eher spärlich bis gar nicht bekleidet ist, ist etwas, dass in Gemeinschaft nur funktioniert, wenn man für eine Weile bereit ist, mit der Kleidung auch ein paar Konventionen abzulegen. Das heißt in Finnland übrigens nicht, dass es keine Hierarchien gibt, es ist nur, dass man da offensichtlich etwas weniger starr ist als in Deutschland. Und irgendwie ist es auch schwerer, nackt zu lügen, glaube ich.

Natürlich geht es auch ohne Dampf und Wasser. Ich bin überzeugt, wenn man die klassische, sitzende Bürotätigkeit ein wenig aufbrechen würde, wären die Beschäftigten glücklicher, gesünder und produktiver; vielleicht sogar in weniger Arbeitszeit als vorher. Soziale und sportliche Möglichkeiten innerhalb der Arbeitsstätte finde ich gut und die haben übrigens Google und Co. nicht erfunden!

Werks und Betriebsschwimmhallen hat man hierzulande irgendwann dicht gemacht und mit ihnen die warme Dusche!