Eigentlich ein schöner Name, Corona – Krone. Gar keine so schöne Krankheit und eine große gesellschaftliche ZĂ€sur.

Ich glaube, meine Gedanken zu Corona, bzw. Covid-19 waren zu Beginn recht durchschnittlich. Das Geschehen Anfang 2020 in China habe ich nicht auf mich bezogen. Vielleicht auch, weil ich im Grunde meines Herzens eine Optimistin bin. Ich habe einfach gehofft, dass es nicht zu uns kommt. Es kam zu uns und es war auch mehr als eine Grippewelle. Ich berichtige mich, es ist weit mehr als eine Grippewelle. Und auch mit Impfung mĂŒssen wir mit der Pandemie leben lernen.

Auch nach der ersten Welle war ich optimistisch. Der Sommer war schön, vielleicht kommt es einfach nicht noch mal, sagte mein positives BauchgefĂŒhl. So darf man natĂŒrlich privat denken oder besser hoffen, aber auch ich habe immer gewusst, dass eine zweite Welle wahrscheinlich ist. Wenn man politisch verantwortlich ist, dann darf man nicht hoffen, dass es einen nicht trifft, sondern man muss darauf vorbereitet sein, dass das passiert was möglich und wahrscheinlich ist. Ebenso verhĂ€lt es sich mit verĂ€nderten Lagen durch die Corona-Mutationen.

Es war aber auch paradox, wie wir als Familie einen wunderbaren Sommer und einen wunderbaren Herbst haben konnten, wĂ€hrend andere wie SelbststĂ€ndige und KĂŒnstlerinnen und KĂŒnstler völlig aus den Socken gehoben wurden. Sie bangen mehr denn je um ihre Existenzen und an ihrem Alltag ist gar nichts normal. Und ĂŒber diejenigen, die diese Krankheit hatten, Langzeitfolgen haben oder ihr zum Opfer fielen, mĂŒssen wir gar nicht erst sprechen.

Die erste Welle vor einem Jahr war von heute aus betrachtet irgendwie surreal. In der Klinik meines Mannes in Magdeburg stellte sich in seiner Arbeitszeit kein einziger Corona-Patient in der Notaufnahme vor. Mein Mann begann sogar an den Tests zu zweifeln. Wie können wir in einer solchen Pandemiewelle ĂŒberhaupt niemanden abbekommen, hat er sich gefragt. Und dann war es doch soweit, kurz vor den Sommerferien hatte er einen Kontakt mit einer Corona-positiven Patientin und ging in diese seltsame ArbeitsquarantĂ€ne, die Ärzte und Pflegepersonal haben. Er durfte weiter arbeiten, Notaufnahme-Dienste miteinbegriffen, allerdings immer mit FFP2-Maske. Dass das nicht angenehm ist, muss man wohl niemandem mehr erklĂ€ren. Die Klinik brauchte ihn, er arbeitete weiter. Allerdings sonst durfte er nichts, nicht einkaufen, nicht spazieren gehen, ĂŒberhaupt gar nicht rausgehen. Und was macht eine Familie mit 3 kleinen Kindern in diesem Fall? Nun wir waren viel draußen, was im Sommer ja auch nicht so ein Problem ist. Wir haben unseren Vater ins Arbeitszimmer einquartiert. Und irgendwann nach einer Woche und mehreren negativen Tests sind wir etwas lockerer geworden.

Jetzt ist die Situation eine andere, Corona ist auch in der Klinik hĂ€ufig. Es bleibt ein mulmiges GefĂŒhl, wenn man mit einem Arzt verheiratet ist, der dieses Virus jeden Tag mit nach Hause bringen kann. Dieses GefĂŒhl ist deshalb so schlimm, weil wir es wĂ€ren, die Klassen in QuarantĂ€ne schicken wĂŒrden oder vielleicht fĂŒr die Schließung der Kita verantwortlich wĂ€ren. Großeltern haben wir schon lange nicht gesehen. Nein, Superspreader möchte man nicht sein. Seit kurzem ist mein Mann zum GlĂŒck geimpft.

Die zweite Welle ist nicht mehr ungewohnt, aber fĂŒr alle ermĂŒdend. Ich kann meine Arbeit von ĂŒberall aus erledigen, eine vernĂŒnftige Internetverbindung vorausgesetzt. Aber die ganze Zeit vor dem Bildschirm zu sein, ist einerseits praktisch, weil ich nebenbei WĂ€sche aufhĂ€ngen kann und andererseits belastend. Aber ich freue mich, dass es in der Staatskanzlei nie ein Problem war, von zu Hause aus zu arbeiten.

Ich erzĂ€hle niemandem etwas Neues, wenn ich sage, dass Homeschooling Familien belastet. Ich bin glĂŒcklich, dass meine Kinder noch keine Teenies sind und soziale Kontakte außerhalb der Familie keine so große Rolle spielen, dass sie sehr leiden wĂŒrden. Meine kleine DreijĂ€hrige nimmt die Dinge wie sie kommen, zuckt mit den Schultern und sagt: „Alles Corona!“ FĂŒr sie ist alles klar, wenn ich wieder erklĂ€re, dass wir nicht schwimmen gehen können oder so. Es ist aber schon beĂ€ngstigend, wenn meine mittlere Tochter als ErstklĂ€sslerin auf dem Fahrrad zu mir sagt: „Ich halte immer die Luft an, wenn ich an den Leuten vorbeifahre.“ „Wir sind doch draußen. Hast du Angst?“ „Nein, aber ich will sie nicht anstecken.“ Wie tief sich wohl diese Corona Pandemie in ein Kinderhirn eingrĂ€bt? Wir werden es sehen, ich hoffe nicht mit negativen Folgen.

In meinem Erwachsenengehirn hat Corona auch etwas bewirkt. Es macht mir bewusst, wie schnell sich die Dinge Ă€ndern können. Wie schnell ein Leben, was mir gestern noch total normal vorkam, nicht mehr normal ist. Die Situation hat mich dankbarer gemacht und auch aufmerksamer fĂŒr die Schönheit der Natur, fĂŒr die jetzt mehr Zeit bleibt.

Komischerweise sprechen sehr viele politisch Verantwortliche von der Krise, als wĂ€re es in Stein gemeißelt, dass nach ihr alles genau wird wie frĂŒher. Diese Krise scheint lösbar zu sein, ohne dass unsere Gesellschaft sich verĂ€ndert und ohne dass Gewohnheiten sich dauerhaft Ă€ndern mĂŒssten. Was ist, wenn die Pandemie lĂ€nger anhĂ€lt als der offiziell befristete Ausnahmezustand es eigentlich zulĂ€sst? Haben wir als Gesellschaft jemals darĂŒber nachgedacht?

Was mir noch auffĂ€llt ist: Wir leben in einer vollkommenen Gegenwart. All unser denken und streben reicht zumindest medial kaum lĂ€nger als bis zur nĂ€chsten MinisterprĂ€sidentenkonferenz. NatĂŒrlich hat niemand eine Glaskugel und kann den Verlauf dieser Pandemie voraussagen. Unsere Gesellschaft steht quasi auf “hold”. Aber warum nutzen wir diese Zeit gerade jetzt nicht dafĂŒr, darĂŒber nachzudenken, warum uns gerade diese Pandemie trifft? Corona ist nicht Cholera und auch nicht die Pest. Wir leben nicht dicht und dreckig. Covid-19 ist eine Viruserkrankung, die davon lebt, dass sehr mobile Menschen sich mit vielen anderen Menschen treffen. Wir sind eine Gesellschaft mit unheimlich vielen Kontakten und eine Welt mit vielen Menschen, Tendenz steigend. Wir sind auch eine Gesellschaft, die so einen hohen Anteil der sogenannten Risikogruppe hat, dass man diese eigentlich nicht schĂŒtzen kann, ohne alle zu schĂŒtzen. Überspitzt formuliert, sind wir voll von Zivilisationskrankheiten, die man besser Industrialisierungskrankheiten nennen könnte. Wir essen und konsumieren immer weiter und arbeiten darauf hin, den nĂ€chsten schönen Sonnenuntergang auf Mallorca zu erleben. Ich ertappe mich selbst dabei, mich in Urlaubsgedanken zu ergehen. Eigentlich ist es auch nicht verwerflich, aber nichts anderes mehr gesellschaftlich zu debattieren, keine anderen Probleme zu haben, das gibt mir zu denken. Schon allein, um diese Zeit spĂ€ter einmal faktisch und emotional aufzuarbeiten, darf Kunst und Kultur jetzt nicht an der Pandemie zu Grunde gehen.

Corona kam ja nicht aus dem Nichts und wird wohl auch nicht dahin zurĂŒck gehen, zumindest nicht so wie es oft öffentlich dargestellt wird. Ja, vielleicht wird es nie wieder werden, wie in der Zeit vor Corona. Vielleicht kommt nach Corona irgendwann die nĂ€chste Pandemie. Ich glaube, ich könnte damit leben, nie wieder HĂ€nde zur BegrĂŒĂŸung zu schĂŒtteln. Und ich könnte auch ohne Probleme eine Maske in der Straßenbahn tragen, wenn ich erkĂ€ltet bin. In Japan ist so etwas schon ewig normal. Nun haben wir gelernt, dass es auch nicht dumm oder ĂŒbersensibel ist.

Wie jede Krise birgt Corona auch die Chance, gestĂ€rkt aus ihr hervor zu gehen. ZunĂ€chst einmal haben wir aber auch gesehen, wie handlungsunfĂ€hig wir an manchen Stellen in Deutschland eigentlich sind. Es ist ruhig geworden um die Corona-Warn-App. Hat hier der Datenschutz tatsĂ€chlich dazu gefĂŒhrt, die Funktion so drastisch einzuschrĂ€nken, dass dieses Mittel kaum wirkt? Wieso schafft es das deutsche Staatswesen nicht, einfach schnell zu helfen und die BĂŒrokratie spĂ€ter nachzuholen? Wir sollten es aus der WHO und von anderen Fachleuten eigentlich wissen: Im Kampf gegen Epidemien und Pandemien hilft nichts so sehr, wie einfach schnell und konsequent zu handeln. Wer schnell handelt, macht Fehler, aber diese Fehler sind geringer als der eine Fehler, zu spĂ€t zu handeln. Wir haben aber ebensowenig eine Fehlerkultur, die das zuließe, wie eine digitale agile Verwaltung, die das könnte! Vielerorts bekommt man noch nicht einmal eine E-Mail, die einem mitteilt, dass man sich in QuarantĂ€ne befinde und sich an die QuarantĂ€neregeln zu halten hĂ€tte. Dabei brĂ€uchte es dies nur automatisiert: Am Anfang, nach einigen Tagen einen Reminder und zum Schluss die frohe Botschaft, dass man nur noch zwei Tage durchhalten muss. Nur ein paar kleine automatisch generierte E-Mails fĂŒr das Gewissen!

Warum gab es auch nie eine niedrigschwellige AufklĂ€rungskampagne ĂŒber diese Krankheit? Ein Großteil der Bevölkerung weiß nicht einmal, dass Corona eine Tröpfcheninfektion ĂŒber die Atemluft ist.

Auch mit der Bildung allgemein hat es nicht so wirklich gut geklappt bis jetzt. Unter anderem war es letztes Jahr nicht möglich, Remote-Schulunterricht ĂŒber die KapazitĂ€ten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks abzusichern, weil dagegen juristische GrĂŒnde sprechen. Dennoch hĂ€tte man einfach mal praktisch denken können, finde ich. Der Rundfunk hatte KapazitĂ€ten und Schule hatte Bedarf.

Viele privat engagierte Eltern und andere versuchen nun auf eigene Faust, das Schulwesen zu digitalisieren, allerdings notgedrungen oft auf Kosten des Datenschutzes. Denn Firmen wie Zoom und Microsoft unterliegen dem Patriot Act/Freedom Act, der amerikanischen Sicherheitsbehörden Zugang zu Daten verschafft, die bei uns dem Datenschutz unterliegen. Auch nach ĂŒber einem Jahr Corona hapert es noch sehr an digitaler Bildung und allem was dazu nötig ist.

All dies sind Symptome ein und desselben Problems: Uns fehlt das grundlegende digitale deutsche Betriebssystem. VerbesserungsfÀhig ist nicht nur die pure Infrastruktur in Form von Glasfaserkabeln und Rechenzentren. Die Wirtschaftswelt ist von digitalen Plattformen geprÀgt und weitestgehend vernetzt, unser Staat hÀngt jedoch im Zeitalter der Schreibstube fest. Wir sind so unterdigitalisiert, dass fast alles, was wir machen, Flickschusterei ist. WÀren wir besser aufgestellt, wÀre so vieles viel einfacher und schneller lösbar. Man könnte z.B. viel einfacher neue Förderprogramme zum laufen bringen.

Warum ist dies ein grundlegendes nicht schnell zu lösendes Problem? Der sympathische Rostocker BĂŒrgermeister zitierte vor kurzem: „Wenn ein Sturm kommt, bauen manche Mauern, wir setzen die Segel!“ Ich habe oft das GefĂŒhl, dass wir alle gerne die Segel setzen wĂŒrden. Leider fehlt dem Schiff aber der Rumpf! Es geht nicht nur um Technik, sondern in der Verwaltung hauptsĂ€chlich um Standards im föderalen System und die Arbeit hinter der IT. Die Hierarchien und die Art der Zusammenarbeit mĂŒssen genauso modern werden wie die Technik es ermöglicht. Und weil sehr viele Menschen auch Fortbildungen und UnterstĂŒtzung brauchen, ist es eben bei weitem nicht nur eine technische Frage. Es ist viel mehr eine Frage des VerstĂ€ndnisses und des politischen Willens.

Wird vielleicht wenigstens die Impfkampagne am Ende ein Erfolg? Noch ist der Impfstoff knapp und die Impflinge sind in einem Alter, dass nach festen Terminen verlangt. Doch funktioniert alles auch noch, wenn viel Impfstoff da ist und die Impflinge jĂŒnger und flexibler sind? Impfen dann z.B. auch Hausarztpraxen und Apotheker*innen mit? In den USA kann man spontan, wenn ein Slot frei ist zu den großen Apothekenketten gehen und sich impfen lassen. Bestehende Infrastruktur nutzen ist doch eine gute Idee.

Eine Freundin, die Ärztin ist, hat sich freiwillig zur Arbeit im Impfzentrum gemeldet, aber es gab gerade genug Ärzte. Sie hĂ€tte auch fĂŒr weniger Geld andere, nicht-Ă€rztliche TĂ€tigkeiten angenommen und Spritzen gesetzt. Diese Sorte Helfer*innen wurden gesucht. Leider hatte sie keine Chance, das mitzuteilen. Ich hoffe sehr, dass hier demnĂ€chst praktikable AnsĂ€tze und gute, durchdachte IT zu einer erfolgreichen Impfkampagne beitragen.

FĂŒr die Zukunft wĂŒnsche ich mir von politisch Verantwortlichen eine transparentere Darstellung der Handlungsoptionen zwischen vorsichtiger Öffnung und COVID-Zero, so dass man das Dilemma wirklich nachvollziehen kann. Es bringt uns nicht weiter, ein ums andere Mal Hoffnungen zu schĂŒren, um sie dann kurz darauf enttĂ€uschen zu mĂŒssen.

Persönlich befinden mein Mann und ich uns auch in einem Dilemma. Die Infektionszahlen sind höher als zum Lockdown vor einem Jahr, eine infektiösere Virusmutante verbreitet sich, Lehrerinnen und Erzieherinnen sind noch nicht geimpft, ob die Kinder regelmĂ€ĂŸig getestet werden können, ist unklar. Wir Eltern mĂŒssen arbeiten. Die Schule beginnt offiziell am 1. MĂ€rz mit PrĂ€senzunterricht, aber keiner PrĂ€senzpflicht. Wir gönnen unseren Kindern den Besuch in der Kita und Schule von Herzen, aber ist es eine gute Idee?

Eine Woche noch – vielleicht auch lĂ€nger – wird meine mittlere Tochter morgens zu unserer TĂŒrklingel rennen, um eine Schulglocke lĂ€uten zu lassen. Dann setzt sie sich an den KĂŒchentisch und sagt augenzwinkernd zusammen mit ihrer Schwester „Guten Morgen Herr Lehrer!“. Damit verwandelt sich Papa in einen Lehrer so gut er kann. Aber irgendwie bleibt der KĂŒchentisch doch KĂŒchentisch und Homeschooling anstrengend.